Eine Leichtigkeit in der Schwere

Gespräch mit KATHARINA LACKNER zu der von ihr kuratierten Ausstellung LATER, die am 12. September im Innenhof des Gevierts Landstraße 36 in Linz eröffnet wird. Dort befindet sich auch das Büro der oö. Gesellschaft für Kulturpolitik, deren künstlerische und kaufmännische Geschäftsführerin WILTRUD K. HACKL das Gespräch mit der Künstlerin, Kunstvermittlerin und Kuratorin geführt hat. Zu sehen sein werden bis 30.9. künstlerische Interventionen, Filme und Objekte von NICOLE SIX/PAUL PETRITSCH, WENDELIN PRESSL und SARAH DECRISTOFORO, die sich mit Wahrnehmungen von Raum und Zeit, mit Veränderungen und Verschiebungen innerhalb dieser Wahrnehmungen auseinandersetzen:

WH        Als wir zum ersten mal über eine Ausstellung zum Jahresschwerpunkt DANACH gesprochen haben, waren einige Räume und öffentliche Orte in Linz im Gespräch. Du hast dich dann relativ rasch für den Innenhof des CENTRAL entschieden, warum?

KL           So ganz klar wars nicht, eher der Gedanke: manchmal ist das vor der eigenen Haustür auch super. Also, was man im ersten Moment als Unort, als Durchgang wahrnimmt, wird zu einem Möglichkeitsort, an dem auch spannende Dinge passieren können. Und vor allem ist es für mich ja kein Ort „vor der eigenen Haustüre“ sondern einer von den vielen Möglichkeitsräumen, über die wir gesprochen haben. Ich fand diesen Durchgang aber immer ganz gut – vor allem, weil er diese Spiegelungen hat. Natürlich ist er ist befüllt mit allen möglichen Informationen, Plakaten zu Veranstaltungen oder den Naturfreunden, sehr viel Schnickschnack und eigentlich völlig überfüllt, aber je länger man sich hier aufhält, umso mehr sieht man, dass es ein schöner Ort ist, auch mit diesem schönen Gewölbe und der Nähe zur Landstraße, und ein Raum, der in seiner Kleinheit auch viele Möglichkeiten bietet. Es ist öffentlicher Raum, und ein Raum – das ist seit dem letzten Jahr sehr wichtig – in dem man trotz Corona immer noch sein konnte. Also diese halböffentlichen, halbüberdachten Räume, die wurden so wertvoll.

Wie schnell warst du bei der Auswahl der künstlerischen Positionen für diesen Ort?

Recht schnell. Ich arbeite da intuitiv. Wenn es zum Beispiel um Raum/Zeitfragen geht, denke ich sofort an die Arbeiten von Six/Petritsch und die Poesie in ihrem Umgang mit dem Alltäglichen, sie haben eine ganz spezifische Wahrnehmung von dem was sie umgibt entwickelt. Mit Wendelin Pressl hab ich kurz davor an einem Projekt gearbeitet, da wusste ich schon, der hat diese Bereitschaft, sich auf solche Unorte einzulassen, was ja auch bei Sarah Decristoforo der Fall ist.

An allen dreien wird ein spielerischer, lustvoller Zugang deutlich – ein Zugang, der in der Kunst und Kunstproduktion immer eine Rolle spielt – das aktuelle Kunstforum widmet sich grade sehr ernst dem Spiel in der Kunst bzw. der Kunst als Spiel und der Kunst als Kind, und lässt Jonathan Meese gleich vier Spielemanifeste dazu verfassen. Ist das etwas, das auch dir selbst wichtig ist – wenn man deine eigene Kunst betrachtet, weniger ein „spielen dürfen“, eher ein „spielen müssen“?

Genau. Seit meiner eigenen Unizeit ist mein Zugang immer ein spielerischer, bzw. wie du sagst, ein lustvoller. Es hat immer mit einer lustvollen Erinnerung zu tun und mit Kindheit – ich schätze das Partizipative sehr und dieses Teilhaben an einem künstlerischen Prozess. Die Dinge nicht wahnsinnig ernst zu nehmen, ohne respektlos zu sein. Mit Humor kann man auch schwere Dinge angehen, er hilft, sich auch auf komplexe Themen einzulassen. Und, das andere ist auch, dadurch einen leichteren Zugang für ein kunstfernes Publikum zu schaffen. Also ich denke, man kann mit Offenheit locken, man bekommt mit Humor Menschen eher dazu, sich etwas anzuschauen, als wenn sie von Anfang an davorstehen und sagen: „das versteh ich nicht“, weil es zu ernst ist.

Dass dieses „das versteh ich nicht“ so negativ konnotiert ist, hab ich übrigens nie ganz verstanden. Es könnte auch als ein wichtiger Schritt gesehen werden, der neugierig macht, im Sinn von: ah, das versteh ich nicht, juhu! Ich muss mich damit auseinandersetzen. Und wenn es spielerisch geht, umso besser – hast Du das Gefühl, das ist uns durch Corona und die Lockdowns in den letzten Monaten abhandengekommen?

Also, für alle kann ich das natürlich nicht beantworten, von mir selbst kann ich sagen, dass ich eher froh bin, in eine Zeit reinzukommen, die man nicht kennt, in der man noch nicht weiß, was richtig und falsch ist, das ist für mich ein Befreiungsschlag. Wenn niemand weiß, was genau ich da grad mache, kann mir auch niemand erklären, dass es falsch ist, wie ich es mache. Ich sehe das als Chance, Eingefahrenes zu überdenken. Das mag ich persönlich sehr gern, aber ich glaub schon auch, dass es sehr viel Angst gibt, und dass unsichere Zeiten vielen Menschen Angst machen, aber es kann ja auch was Gutes rauskommen dabei. Ich hatte mit vielen Künstler:innen Kontakt, die auch meinten – eigentlich sei die Zeit großartig, es gibt staatliche Unterstützung, mehr Zeit, weniger Ausstellungen weniger Reisen, also eine Leichtigkeit in der Schwere…

Weils es den Prozess in den Vordergrund stellt, weniger den Output?

Ja, aber das Spielerische ist eine Persönlichkeitsfrage, jeder hat seine eigene Handschrift, die man nicht ablegen kann, es gibt eben bei manchen Arbeiten und bei manchen Künstler:innen das Spielerische, das schwer abzulegen ist.

Also du meinst, wer davor gespielt hat, macht es jetzt auch, wer davor keinen spielerischen Zugang hatte, hat ihn auch jetzt auch nicht, aber es hat uns in der künstlerischen Auseinandersetzung mit Themen nicht ernsthafter gemacht?

Vielleicht befinde ich mich da ja auch in einer Blase – aber ich kenn niemanden, der gesagt hat: wegen Corona musste ich aufhören, Kunst zu machen, weil es jetzt auf einmal prekär geworden ist. Es war ja davor genauso prekär. Unsere Einkommen sind halt zu normalen Zeiten auch schon förderungswürdig. Für die Institutionen war es sicher schwieriger. Mit den ständigen Absagen klarzukommen – Leihgaben, Umdisponieren, neue Orte finden, auch die Auswirkungen in Bezug auf Kürzungen werden da wohl erst später sichtbar.

Was die Institutionen betrifft – da machst Du und auch Gottfried Hattinger in seinem Text eine ähnliche Bestandsaufnahme – es sollte diese Betulichkeit aufhören, und weniger Wichtigtuer sollten am Wort sein – wieder in Verbindung zum Spielerischen gebracht: sind diese extrovertierten Figuren in einem gewissen Sinn aber nicht auch Spieler, die es in der Kunst und in den Institutionen vielleicht auch immer wieder braucht? Auf der anderen Seite agieren sie natürlich gar nicht spielerisch im Sinn eines partizipativen Umgangs mit anderen und weil sie sich so ernst nehmen. Wie siehst Du diese Entwicklung?

Ich bemerke, dass ich da einfach intolerant geworden bin. Auch politisch. Ich schau sehr viele Late Night Shows und hab auch während der Trump Geschichte so viele Parallelen zur oberösterreichischen Kulturszene entdeckt – die ergeben sich aus den Absurditäten, aus den Machtgefügen – da gibt es so viel Angst, das Falsche zu sagen – …für wen was und welche öffentlichen Gelder ausgegeben werden, wie die eingesetzt werden.  Kunst muss sicher nicht immer Alle ansprechen, aber ans Publikum denken sollte man schon auch. Ich war ja sehr lange in einem sehr publikumsnahen Betrieb tätig, der sehr viel Wert darauf gelegt hat, dass das Angebot auf die Besucher:innen zugeschnitten war. Nicht allein was die Programmierung der Ausstellungen betrifft, sondern auch die Vermittlung. Das Angebot sollte auf die Besucher:innen zugeschnitten sein. Und ja – da bin ich intoleranter geworden.

Gegenüber Kunst, die sich darüber definiert, eben nicht verstanden zu werden?

Gegenüber Kunst, die man nicht ermöglicht, die nicht vermittelt wird. Und zwar barrierefrei auf allen Ebenen – was die Öffnungszeiten betrifft, was unterschiedliche Altersgruppen betrifft. Nicht alles, was für Erwachsene funktioniert, funktioniert auch für Kinder – also man kanns schon anbieten und machen, aber es macht keinen Sinn – da wird einfach nicht an den Betrieb eines solchen Hauses gedacht. Und: erstaunlicherweise war ich im vorletzten Jahr zum ersten Mal in meinem Leben konfrontiert mit einer totalen Teilung zwischen Kunst machen und Kunst vermitteln. Das kannte ich von früher nicht, ich habe immer partizipativ gearbeitet. Und plötzlich war da diese Unterscheidung zwischen der Vermittlung und dem „eigentlichen“ Kunstwerk. Diese Argumentation war mir so fremd, ich denke immer den Ort und die Betrachtenden mit, egal ob ich Kunst produziere oder ob ich sie vermittle und überlege, wie ich die größte Möglichkeit schaffe für die Besucher:innen, die Kunst zu erleben. Möglichst barrierefrei auf allen Ebenen und mit möglichst vielen Geschichten. Momentan ist die Gewichtung in manchen Kunst-Betrieben eine andere – PR (Public Relations, Anm. WH) vermittelt im besten Fall Inhalte und das tut sie in OÖ in den großen Institutionen momentan eher nicht. Sie dient meistens nur sich selbst.

Du siehst das halt auch aus vielen Perspektiven – du bist sowohl Künstlerin, Pädagogin, Vermittlerin…

Ich will das alles immer mitdenken. Meine Kunst bietet sich da halt auch an. Ich trenne das nicht. Meine Kunst ist auch nicht für eine bestimmtes Altersklasse gedacht. Sie hat mit Inklusion zu tun – darum gefällt mir der Begriff Szenographie dafür sehr gut. Weil sie eine Narration im Raum ist. Dann muss ich mir keine Gedanken über Vermittlung machen, denn die Geschichte erzählt sich dann von selbst. Die Besucher:innen können sich drin bewegen, den Raum erweitern, interpretieren.

Da sind wir wieder beim Spielen. Spielen bedeutet ja auch, in unterschiedliche Rollen schlüpfen zu dürfen und sich auf etwas einzulassen und die Umgebung aus einer ganz anderen Perspektive wahrzunehmen. Man darf auch mal jemand anderer sein.

Genau, mein Vermittlungsansatz ist mit dem Kinderprogramm entstanden. Ich biete eine Erzählhilfe an, denn die Angst, etwas Falsches zu sagen oder etwas Dummes zu fragen ist bei Erwachsenen immer groß. Also sage ich zum Beispiel: stellt euch vor, ihr wärt alle Riesen, wie würden Riesen dieses Kunstwerk sehen und welche Fragen würden sie stellen? Also – ich kann so einerseits Wissen vermitteln, und andererseits sind ab diesem Moment Alle „anders“ und Jede kann Fragen stellen, ohne sich dumm vorzukommen. 

Also ein Setting, das die Person, die meint, dass sie am wenigsten weiß, ins Zentrum stellt?

Genau, und das gemeinsame Erleben rundum baut. Als Riese sieht man ja hier noch was anderes, und da auch noch … So ergibt sich ein Flow aus Spiel und Kunst, es tut sich etwas auf, wo es kein richtig und falsch gibt, wo man nicht weiß, wo es hingeht, ein Glückszustand, weil man in eine Bewegung reinkommt. Mein Opa war Bürgermeister – und er hat mit seinen dicken Fingern immer in die Schreibmaschine geklopft, eine Inszenierung! Das hab ich bei Ihm gelernt: inszenieren, lustvolles Tun in den blödesten Situationen. Manche lieben es, ganz eintönige Arbeiten zu verrichten, weil man dann so schön denken kann. Wenn die Hand tut, kann das Gehirn dahinflattern.

Kurz nochmal zurück zum Innenhof und zur Ausstellung. Die Kunst trifft da auf ein sehr diverses Publikum, das Publikum ist schon vor Ort – im Café, in den Büros, in den Shops. Wie wirst du das aus der Position einer Vermittlerin angehen?

Generell bei Kunst im öffentlichen Raum bin ich ja sehr zwiegespalten, weil sie jemanden, der eigentlich etwas ganz anderes vorhat, einen Task hat, konfrontiert mit etwas, für das er nicht bereit ist. Wie diese Keiler auf der Landstraße. Es trifft dich unerwartet und manchmal auch unerwünscht. Meine Erfahrung mit Kunst im öffentlichen Raum war eigentlich immer: es ist schwierig die Leute zu erwischen. Menschen brauchen eine große Entspanntheit und Offenheit, um sie wahrzunehmen. Gerade auf der Landstraße. Das ist einerseits sehr subtil, subversiv und eher unsichtbar. Und wenns wer sieht, ist das super. Die Kunst im Innenhof ist jetzt keine besonders knallige Kunst, sie ist aber trotzdem da. Da geht es um kleine Gesten, die mir als Kuratorin schon völlig ausreichen – es geht um eine Poesie des Verborgenen. Und wer die Kunst nicht sieht, nimmt sie vielleicht wahr. Mir geht es nicht um Zahlen – für wen mach ichs denn? Das ist generell ein schwieriges Thema – einerseits möchte man möglichst vielen Menschen ermöglichen, sie zu sehen, auf der anderen Seite: zwingen kann man ja auch niemanden.

Die Frage des Messbaren in der Kunst ist ohnehin immer ein schwieriges Thema. Es bräuchte neue Begriffe und einen neuen Diskurs auch in der Kunst- und Kulturförderung zum Beispiel. Wenn ich hunderttausend Leute durch eine Ausstellung geschleust hab, sagt das ja noch nichts über eine Qualität der Wahrnehmung aus, mit der sich die Besucher:innen der Kunst dort genähert haben.

Auch der Zeitfaktor ist ein Thema – Nachhaltigkeit – eine Ausstellung wird eventuell erst Jahre später relevant. Da gabs eine interessante Frage, mit der ich in letzter Zeit konfrontiert wurde – als es um den Mehrwert mit der Arbeit mit Kindern ging, nämlich: Welchen Mehrwert haben eigentlich die Künstlerinnen? Man spricht ja immer davon, wie toll es ist, wenn man in Kontakt mit Künstler:innen kommt, umgekehrt wird der Wert für Künstler:innen aber nicht erwähnt.
Wie sehr interessieren sich die Förderstellen eigentlich dafür, wie sich die geförderte Kunst und Kultur entwickelt? Manchmal hat man das Gefühl, es ist den Förderstellen ziemlich egal. Aber das hier – eine kleine Ausstellung zu kuratieren, nämlich aus der Position der Künstlerin heraus – was ich immer tue – ist für mich ein großer Mehrwert. Auch dass wir diese Ausstellung hier als Prozess und ein Experiment sehen können, dass wir das im Gespräch erarbeiten können. Das ist aktuell ein Mehrwert für mich.