Socken, Diskurs und Kultur

Warum wir veranstalten, was wir veranstalten.

Wer veranstaltet, ist abhängig von einem guten Team, Publikum, Künstler*innen, Räumen und oft auch: Kooperationspartner*innen. Weil man sich gemeinsam leisten kann, was man sich leisten möchte und alleine nicht leisten könnte. Auch, weil vernetztes Arbeiten befruchtend und spannend ist. Durch Kooperation werden Abhängigkeiten erzeugt und ist Transparenz in Sachen Kommunikation gefordert. In Nicht-Krisenzeiten tut sich da jede*r leicht damit. Easy Sache, ein paar Texte hier, ein paar emails dort und am Abend stehen wir alle gemeinsam auf der Bühne und lassen uns für diese hervorragende Kooperation und die super spannenden internationalen Gäste beklatschen. Zu Krisenzeiten – wenn das Geld knapper wird, das Publikum zu Hause bleiben will oder soll, Förderungen ausbleiben, alle ohnehin schon genervt sind und niemand mehr in einen Monitor blicken will – wird es herausfordernder. Hierarchien in der Kommunikation werden sichtbar, Ziele und Motive divergieren, dabei war man sich doch grade noch so schön einig. Spannend – oft auch ernüchternd – zu beobachten, wie diejenigen, denen es gerade noch um Inhalte, um Qualität, nicht Quantität ging, sich sofort der Größe des Publikums versichern, wenn dieses in der gewohnten Form – anwesend, sichtbar, spiegelnd, bestätigend – zu entschwinden droht. Sieht sich das denn online überhaupt noch jemand an? übersetzt sich mit: sieht MICH denn online überhaupt noch jemand?

Die Vorteile – dass online Veranstaltungen barrierefrei(er) gestaltet werden könnten oder dass neben Video auch Audio angeboten werden, die so vorhandenen Aufzeichnungen und Verschriftlichungen einfacher und breiter zur Verfügung gestellt werden könnten, langfristig also mehr Publikum generiert werden könnte als zum Zeitpunkt der Veranstaltung etc. – werden selten als Argumente eingebracht. Auch nicht das Faktum, dass Diskursveranstaltungen zu bestimmten Themen aus Kunst, Kultur, Ökonomie und Politik ohnehin – Überraschung! – eher selten die Massen anziehen, weder im realen noch im virtuellen Raum. Und schon gar nicht, dass Digitalität scheitern muss, solange hierarchisch linear und analog gedacht wird und eine Vorstellung davon, wie Veranstaltungen „zu funktionieren“ haben vorherrscht, die Quantität immer vor Qualität setzen wird, Output immer vor Prozess, messbaren Erfolg immer vor womöglich scheiterndem Experiment.

Ganz sicher gescheitert bin ich, wenn ich meinem Team – fast ausnahmslos selbstständig bzw. freiberuflich tätig – vereinbarte Veranstaltungstermine nun nonchalant mit der Begründung „streamen bringt zu wenig Zuseher*innen“ absage. Gescheitert als Kulturarbeiterin, als Teamleiterin, selbst wenn ich in Abhängigkeit zu Projektpartner*innen agieren muss. Wer Veranstaltungen ausschließlich nach Quantität, nach Masse, nach der Größe des Publikums ausrichtet, hat aus den letzten Monaten wenig gelernt. Wer immer noch veranstaltet, um die übliche, gewohnte Reaktion zu erhalten, um in Frontalunterrichtmanier streng hierarchisch in Bühne vs. Publikum, oben vs. unten, wissend vs. unwissend etc. unterteilt paternalistische Strukturen aufrecht zu erhalten, hat nach meiner Auffassung den Kampf um einen für alle Beteiligten „funktionierenden“ Kultur- und Veranstaltungsbetrieb verloren, bevor er oder sie ihn aufgenommen hat. Wer Kultur und Diskurs wie ein Paar Socken „produzieren“ will, wird unweigerlich über kurz oder lang auch in realen Veranstaltungsräumen mit den 20 immer gleichen Menschen im Publikum sitzen und wird der Austausch immer weniger befruchtend und lebendig als zwanghaft erhaltend und absichernd sein.

Wie also können wir noch veranstalten und das Verhalten des Publikums – so wir das überhaupt akzeptieren wollen – dahingehend beeinflussen, dass es online ebenso aufmerksam unsere Angebote wahrnimmt, beobachtet, diskutiert wie in realen Räumen? Studien zu Publikumsverhalten wären jetzt wichtig – zu erörtern, ob es uns nicht ohnehin längst auch im realen Raum verlassen hat, zu vielfältig das Angebot an Veranstaltungen, Ausstellungen, Konzerten etc. und zu groß das Bedürfnis, sich zurückzuziehen, eine neue Biedermeierlichkeit, die – subjektiv betrachtet – nicht erst seit Corona zu beobachten war.

Vieles wird nötig sein – Anpassung der Richtlinien der Förderstrukturen, Kreativität, Intelligenz und Improvisationsvermögen von Veranstalter*innen, kluger, umsichtiger Einsatz digitaler Technologien, Strategien wie Community Building etc. – aber eines ganz besonders: aus den privilegierten Positionen gut dotierter Angestelltenverträge heraus ein Verantwortungsgefühl zu entwickeln für die Kolleg*innen, deren selbstständige und freiberufliche Arbeit wir bislang für selbstverständlich und als zu jeder Tages- und Nachtzeit vorhanden und abrufbar wahrgenommen haben. Wer in der aktuellen Situation dazu nicht in der Lage ist, braucht sich wenigstens keine Gedanken mehr zu machen, was nach Corona noch zu veranstalten ist – denn das Team aus hervorragenden, versierten Freiberufler*innen und Selbstständigen hat dann die vergangenen Monate ökonomisch womöglich nicht überlebt.