Koste es, was es wolle … oder Lebensmittel Kultur

Die Corona-Pandemie hat unsere Gesellschaft unerwartet (?) und unvorbereitet getroffen und unser Leben radikal verändert. Auch die Kultur wurde in eine existenzielle Krise gestürzt und hat mit vielen neuen Herausforderungen zu kämpfen.

Da ist es schon eine skurrile Diskussion, die von den Kapitänen der zwei großen Kulturtanker Staatsoper und Albertina vom Zaun gebrochen wurde. Es ging um die Frage, ob Kultur ein Lebensmittel und was wichtiger sei, Theater und Konzerte oder Museen und Bildende Kunst. Albert Schröder gab auch gleich die Antwort und erklärte sinngemäß „Kultur ist kein Lebensmittel und man könnte durchaus auf das Theater verzichten, bis die Krise vorbei ist“.

Man kann ja die Frage „Ist Kultur ein Lebensmittel?“ durchaus diskutieren und hinterfragen. Was heißt das für die Kulturpolitik? Löst die Kulturpolitik diesen Anspruch ein? Wer kann das Lebensmittel Kultur genießen, wer nicht? Und warum? Sehr oft werden Forderungen nach einer Erhöhung der Kulturförderung, meistens von Kulturpolitikerinnen, mit den Argumenten begründet und bekräftigt „Kultur ist Lebensmittel“ oder „Kultur ist Wirtschafts- und Standortfaktor“. Achtung, es geht bei dieser Argumentation fast immer nur um die „großen“ Kultureinrichtungen. Um die Kulturinstitutionen der öffentlichen Hand, die von ihren Eigentümern, Bund und Ländern sowie Städten und Gemeinden, durch ein fixes Jahresbudget finanziell abgesichert sind – auch in Corona-Zeiten.

Es sollen hier nicht die speziellen Maßnahmen des Bundes und des Landes für den Kunst- und Kulturbereich bewertet werden. Das ist an dieser Stelle schon mehrfach erfolgt und es gibt dazu zahlreiche Stellungnahmen, Anregungen und Forderungen der KUPF und anderer Organisationen.

Ganz laut muss allerdings darauf hingewiesen werden, wie uns in der Entstehungsphase der Hilfs- und Rettungspakete sowohl inhaltlich als auch im Ablauf sehr deutlich vor Augen geführt wurde (wieder einmal), dass die Kultur in der österreichischen Politik keine Priorität hat und innerhalb der Kultur die Prioritäten ganz sicher nicht bei den vielen „kleinen“ Kulturvereinen oder bei Künstlerinnen und Kulturarbeiterinnen liegen. Man muss immer wieder feststellen, dass die Regierenden die Kulturpolitik und die Kulturarbeit nicht ernst nehmen. Und wenn, dann eben nur aus dem Blickwinkel von Wirtschafts- und Standortüberlegungen.

Die Frage einer langfristigen finanziellen Absicherung der Kunst- und Kulturszene wurde beim Konzept der Einmalzahlungen und befristeten Zuschüssen überhaupt nicht angedacht. Sie muss aber sehr bald beantwortet werden. Es muss Strategien und schlüssige Konzepte geben, wie die finanzielle Ausstattung des gesamten Kunst- und Kulturbereiches auch nach COVID-19 langfristig gesichert werden kann. Hier wird sich wirklich zeigen, was die Beteuerungen in den Festreden der Kulturpolitikerinnen wert sind. Es wird zu unsolidarischen Verteilungskämpfen um die öffentlichen Förderungen zwischen den unterschiedlichen Akteurinnen kommen – sicher auch innerhalb der Kultur zwischen den „Großen“ und den „Kleinen“. Das eingangs erwähnte „Geplänkel“ zwischen den beiden „Kulturkapitänen“ ist ein kleiner Vorgeschmack auf die „Härte“ und Zielrichtung dieser Verteilungskämpfe.

„Kultur als Lebensmittel“ definiert, dass Kultur ein elementares Bedürfnis und ein unentbehrlicher Nährboden für eine offene, tolerante und demokratische Gesellschaft ist. Die Kulturpolitik muss sich die Frage stellen: „Wer hat Zugang zu den Angeboten der Kultur?“ Richtiger gefragt „Wer hat keinen Zugang?“. Daraus leitet sich die Pflicht ab, die kulturelle Grundversorgung sicherzustellen. Dazu gehört auch ein flächendeckendes Angebot im ländlichen Raum. Vor allem aber erfordert es immer wieder neue, zeitgemäße Konzepte, um auch sogenannten bildungsfernen Schichten, Migrantinnen, Bezieherinnen der Mindestsicherung oder arbeitslosen Personen den gleichen Zugang zu Kultur zu ermöglichen.

Das Konzept „Kultur für alle, Kultur von allen“ muss in diesem Sinne immer wieder für zeitgemäße Anforderungen und Möglichkeiten adaptiert werden. Durch die Kreativität und den Einsatz „aller“ Künstlerinnen und Kulturarbeiterinnen wurden während des Shutdowns zahlreiche neue Ansätze, Ideen und Konzepte entwickelt. Viele Angebote, digital und analog, insbesondere im kleinen Rahmen, drinnen wie draußen, haben interessante künstlerische Begegnungen ermöglicht. Neugierde und veränderte Formen und Möglichkeiten der Wahrnehmung haben ein neues, oft kulturfernes, Publikum aktiviert und gefunden.

Das Verhältnis zum Publikum hat sich verändert und es ist eine „neue“ Solidarisierung zwischen Künstlerinnen und Publikum entstanden. Es ist jetzt notwendig, diese neuen Ideen, Ansätze und Formate weiterzuentwickeln. Kleine, intime Formen können jenen Menschen, für die die Barrieren der großen Konzerthäuser und Museen kaum zu überwinden sind, ganz neue Zugänge ermöglichen. Die Konzepte der Spektakelkunst und der Eventgesellschaft haben im Shutdown ohnehin ihre „selbst gegebene“ Hauptrolle im Kunstbetrieb verloren.

In den Corona-Zeiten sind die Impulse und Ideen für neue Veranstaltungsformate und neue Möglichkeiten kultureller Teilhabe ausschließlich von Künstlerinnen und Kulturarbeiterinnen ausgegangen. Es ist jetzt die Aufgabe und Verantwortung der Kulturpolitik, die Rahmenbedingungen für die Erhaltung und den Ausbau eines breiten und offenen Kunst- und Kulturbetriebes zu schaffen. Die Kulturpolitik muss sich endlich den vielen offenen Fragen stellen: Veränderungen in der Gesellschaft und die damit verbundenen Veränderungen im Nutzungsverhalten und der Nutzungsmöglichkeiten, Neue Medien, neue Räume, Vielfalt, Migration, Inklusion, Mobilität, Chancengleichheit im Zugang zur Kultur, wirtschaftliche Absicherung der Künstlerinnen und Kulturarbeiterinnen, neue Finanzierungsmodelle, Grundeinkommen uvam.

Die Politik kann und soll die Erfahrungen aus der Krise, die von einer schier unerschöpflichen Kreativität und Einsatzbereitschaft der Künstlerinnen und Kulturarbeiterinnen geprägt sind, für neue Perspektiven der Kulturpolitik nutzen. Künstlerinnen und Kulturarbeiterinnen haben gezeigt „Wir können es, wir schaffen es!“ Jetzt muss die Kulturpolitik zeigen, dass sie es auch kann und will.

Die derzeitige Situation zeigt, wie aktuell die „alte“ Forderung ist, „Kultur als Pflichtaufgabe“ in die Bundesverfassung und in die Landesverfassungen aufzunehmen. Kulturförderung darf nicht länger eine „freiwillige Leistung“ auf dem Niveau einer Almosenverteilung bleiben. Die öffentlichen Haushalte müssen verpflichtet werden, immer eine ausreichende Grundversorgung des „Lebensmittels Kultur“ sicherzustellen! Auch in Krisenzeiten.

„Koste es, was es wolle!“

Wie steht Ihr dazu, Kultur als Pflichtaufgabe in den Verfassungsrang zu heben? Lasst uns ein paar Zeilen oder Stichworte an kulturpolitikwagen@gfk-ooe.at zukommen. Wir sammeln sie und setzen uns dafür ein, dass die Öffentlichkeit – in verdichteter und anonymisierter Form – darüber erfährt.