Klangneukirchen – Nie nicht keine Stille

Dieser Text von TANJA FUCHS ist gekürzt auch im aktuellen gfk Magazin 02/18 zum Schwerpunkt VERSCHWINDEN erschienen.

 

Verschwindend gewagt – so zeigt sich das KLANGFESTIVAL seit seinem Debut im Sommer 2008. Auf dem dreitägigen Festival des Kulturvereins Klangfolger, das von 24.-26. August 2018 sein 10-jähriges Jubiläum in Gallneukirchen feiert, treffen Musik, Performance und multiversale Sparten der Kunst auf das unbekannte X, die definierte Variable, die Zehn nach der verschwundenen Neun. Was bedeutet das Verschwinden für das KLANGFESTIVAL #10?

Sounds like a rabbit

Vor 10 Jahren verwirklichte die Ursuppe der heutigen Klangfolger*innen erstmals selbst, was ihnen im ländlichen Kulturangebot zu knapp war – wüste, wilde und komische Klänge in all ihrer Schönheit und Genießbarkeit. Inspiration zur Namensgebung lieferte das kraftwerksche Kling-Klang-Studio, der Ort, an dem die Band ab den 70ern vom Kraut zum Computer gegriffen und damit Musikgeschichte geschrieben hat. Die musikalische Bandbreite der Elektronik-Avantgardisten, ihre Do-It-Yourself-Attitude sowie das Studio selbst, welches einmal eine leere Werkstatt war, lässt sich bis heute auf die Idee des KLANGFESTIVALs übertragen. Zur Motivation, progressive zeitgenössische Kunst verstärkt auf dem Land zu repräsentieren, kam für das KLANGFESTIVAL im Jahr 2016 spontan ein weiterer kulturpolitischer Aspekt hinzu – die Bespielung zwischennutzbarer Leerstände. Durch das Schaffen einer neuen Plattform in den einladend adaptierten Räumlichkeiten der „Alten Nähstube“ direkt im Ortskern ergab sich auch der neue Vereinsname Klangfolger, der sich auf sogenannte Kulturfolger bezieht, Pflanzen oder Tiere, welche aufgrund der vom Menschen verursachter Landschaftsveränderungen ihrem ursprünglichen Lebensraum entschwinden. Wie Feldhasen in den Stadtraum, ziehen die Klangfolger*innen in das leer stehende Geschäftslokal und befüllen es mindestens mit Klang. So bringen sie seitdem nicht nur internationale wie regionale Künstler*innen und interessiertes Musikpublikum nach Gallneukirchen, sondern auch zahlreiche neugierige Locals, die gemeinsam die neue Vereinszentrale beleben. Beim Festival 2018 wird jedoch nicht nur diese erneut kontextuiert, diesmal als Ausstellungsraum für zeitgenössische Malerei, Street Art und installative Medienkunst, sondern auch die ehemalige Gallneukirchner Feuerwehrhalle. Jene wird aus ihrem Leerstandsschlaf geholt und zum Main-Spot für Konzerte. Zudem lädt die Ruine zu Schloss Riedegg am Samstag zu Performancekunst und Naturidylle.

Intermediale Galaxien

Der Weltraum, heißt es, ist groß. Verdammt groß, (…)“, steht es in Douglas Adams’ intergalaktischem Reiseführer, doch selbst das Universum, die große weite Unbekannte, verschwindet. Dem klangfestivalschen Astronomen Vinzenz Landl zufolge werden in vielen Jahren zunächst keine neuen Sterne mehr entstehen. Die übrigen stürzen in schwarze Löcher oder werden aus ihrer Galaxie geschleudert und kühlen aus. Die verbleibenden Atome zerfallen, die letzten schwarzen Löcher strahlen ihre Energie aus und letztlich stellt sich ein thermodynamisches Gleichgewicht ein. Nichts bewegt sich, das Universum ist verschwunden. Rechnerisch passiert dies in 10 Septendezilliarden Jahren (106 Nullen). Viel zu groß um je begreifbar zu werden. Einfacher wäre es also zu sagen, das Universum, das Leben und der ganze Rest sind in x Jahren weg.

„Wenn ich die Hand aufmache und dann is da nichts drin, dann ist das schon intermedia. Die Luft die ich atme ist schon ein Ereignis und die Töne die ich mache, lösen sich in Luft auf.“

Mit diesen Worten beschreibt der Musiker und Komponist Conrad Schnitzler nicht nur eine körperliche Bewegung, sondern auch einen Raum, der sich erst durch das ihn Umgebende erkennbar wird. Denn mancher Räume werden wir uns erst bewusst, wenn wir uns in ihnen, um sie oder sie selbst bewegen, sie füllen oder akustisch erschließen. Ohne Leere kein Raum, ohne Luft kein Klang. Das vermeintlich Undefinierbare bekommt eine neue Bedeutung und Weite.

Ich möchte Teil einer Klangbewegung sein

In der zweiten Augusthälfte verschwinden in Gallneukirchen Wiesen unter Campingzelten und verwandeln sich in temporären sozialen Lebensraum. Leere und Brache dekonstruieren sich, vermeintliche Heterogenität traditioneller Kulturtechniken wie dem Jodeln begegnen zeitgenössischen Kunstsphären, Club, Improvisation wie Performance entstehen und zerfallen im Moment und das schwarze Sommerloch füllt sich mit dem Geräusch, das schon immer Musik war.

Das KLANGFESTIVAL #10 geht nicht auf die Suche nach dem Undefinierten selbst, sondern feiert dessen Zauber. Kunst und Mensch bewegen sich als Schwingungen und Körper durch neu begreifbare Räume und bringen diese zum Zittern. Ebendiese Bewegungen zeichnen eine individuelle Bedeutung des Wortes Verschwinden – aufzulösen, was trennt, das vermeintlich Unkombinierbare zu verbinden, das Ungenutzte anzupacken und damit temporär neue Sphären zu eröffnen und zu besetzen, für das experimentelle Moment.

Programm-Infos & Tickets:

www.klangfestival.at

Programm:

Castello/Gnigler/Gartmayer, Ester Poly, Fågelle, ƒauna, Gorilla Mask, Ingrid Schmoliner, Kollektiv Okabre, Levie, Motherdrum, Murmler, Slow Slow Loris, Villalog, Wien Diesel

Tanja Fuchs // ABU GABI:

ist Musikerin, Producer, DJ und Kuratorin, lebt in Wien und ist beim KLANGFESTIVAL #10 gemeinsam mit Magdalena Landl hauptverantwortlich für die Programmkuration. Als ABU GABI oder mit dem post-rave Duo DVRST steht sie am Crossfade zwischen experimentellem Kunst- und Clubkontext.