Markus Reindl – Katerstimmung

Markus Reindl beschäftigt sich seit mehr als 25 Jahren mit Clubkultur und elektronischer Musik und erforscht den Club als sozialen und interaktiven Raum. Als Teil der Elektronik-Gruppe A.G.Trio war er mehr als ein Jahrzehnt lang erfolgreich rund um den Globus unterwegs. Er ist künstlerischer Leiter des Stream Festivals der Stadt Linz und lebt in Freistadt. In seinem Text für das aktuelle gfk Magazin zum Schwerpunkt DANACH setzt er sich mit Clubkultur und der Zukunft des Genres auseinander. Außerdem erarbeiten wir gerade eine Gesprächsserie zum Schwerpunkt, die Markus Reindl moderieren wird. Der erste Termin sollte der 17. März sein – ob der wirklich hält, erfahren wir und erfahrt ihr hoffentlich demnächst. Infos zur Gesprächsreihe und der Text sind auch im Magazin nachzulesen. Es ist kostenlos unter info@gfk-ooe.at zu bestellen.

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Foto (c) Robert Maybach

Irgendwann in einer Nacht im Frühling bin ich an die Bar gegangen und habe mir noch ein Bier geholt, bevor ich wieder auf die Tanzfläche verschwand. Ich wusste nicht, dass es das letzte Bier für eine sehr lange Zeit sein wird.

Also – Bier gab es weiterhin, ich würde überhaupt gerne wissen, wie die Corona-Krise und Alkoholismus so korrelieren, aber mit den Tanzflächen war im Frühjahr 2020 zunächst mal Schluss. Und eigentlich hat sich das bisher nicht geändert. Während man für Konzerte, Ausstellungen oder Theateraufführungen zumindest vorübergehend wackelige Lösungen parat hatte, waren die Clubs davon immer ausgenommen. Zu groß schien den Obrigkeiten die Gefahr, die von den hedonismus- und hormongetränkten Stätten immersiver Tanzunterhaltung ausging. Vielleicht wurde hier auch einfach eine Gelegenheit genutzt. Fest steht, dass die Clubkultur nie mehr so sein wird, wie sie davor war.

Aber wann war dieses davor eigentlich?

So lange ich denken kann gab es immer Menschen, die mir erzählt haben, dass „die Musik“, „die Raves“, „die Drogen“ und „die DJs“ früher besser waren und „jetzt“ alles nur noch ein müder Abklatsch dieser mythischen Zeiten ist. Im Jahr darauf war das „früher“ dann so zirka um ein Jahr länger. Man kennt das Spiel.

Aber klar, diesmal dürfte sich tatsächlich einiges ändern. Und diesmal geht es nicht darum, ob die Musik lauter ist oder die Drogen besser reinknallen. Es geht darum, dass einem bestens etablierten, ökonomisch florierenden System die Existenzgrundlage entzogen wird. Davon sind alle betroffen, die in dem Ganzen mit drinhängen: Die Clubs und alle, die direkt oder indirekt dort ihren Unterhalt verdienen (im November standen 94% der deutschen Clubs vor der Pleite[1]), die Musiker*innen, die Veranstalter*innen, die Agenturen, die Fachpresse, Lieferant*innen, Reisebüros, Hotels…

Das Resultat ist aber nicht nur ein ökonomisches Problem, das durch verschiedene Fördertöpfe mal besser, mal schlechter und manchmal auch gar nicht abgefedert wird.

Das Problem ist, dass wir vielleicht vergessen, wie Clubkultur eigentlich gegangen ist.

Klar, der Hedonismus ist widerstandsfähig. Der Sommer 2020 war vielerorts durch illegale Outdoor-Parties geprägt und gefeiert wurde schon immer und wird auch immer werden. Vielleicht war unter den unbeugsamen Ravern ja sogar ein postdigitaler Augustin zugegen, den dann die Generationen nach uns besingen können. Und wie zum Ende der Pest langanhaltende Feste gefeiert wurden, die zum Teil Grundlage für bis heute abgehaltene Feierlichkeiten bilden, wird man wohl auch zum „Ende“ von Corona nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

Aber Clubkultur ist eben auch mehr als nur feiern.

Clubs wie wir sie heute kennen, haben ihre Wurzeln in den Sechzigerjahren – auch wenn sie sich schon damals auf Vorläuferinstitutionen vergangener Jahrzehnte berufen konnten. Seither sind sie nicht nur Orte des Exzesses, sondern auch Safe Spaces und Horte der Gegenkultur und Kreativität. Die gegenseitige Befruchtung sozialer und kreativer Movements wurde so zur Grundlage einer Vielzahl künstlerischer, musikalischer und gesellschaftlicher Veränderungen. Das Club-Ökosystem war dabei traditionell äußerst fragil und nach außen hin verschlossen. Eine abgeschottete Parallelwelt mit zum Teil rasch wechselndem Publikum und eigenen Regeln, die nur Eingeweihten weitergegeben wurden. Keine gute Voraussetzung also, um für ein paar Monate oder gar Jahre zu pausieren.

Und dazu kommt dann noch eine ganze Reihe hausgemachter Probleme, die der Clubszene in den letzten Jahren zusetzen und sie schon vor Corona massiv geschwächt haben. Kommerzialisierung, Starkult, Festivalisierung und das Engagement großer Marken haben viele alteingesessene Underground-Einrichtungen in einen Existenzkampf gedrängt und den Fokus auf Reichweite und Markenwirksamkeit gelenkt.

Ein Umstand, der sich mit der Lockdown-bedingten Abwanderung ins Internet auch dort beobachten lässt: „Livestreams ersetzen nicht im Geringsten die Cluberfahrung, tragen aber zu einer Übertragung der Übersättigung ins Digitale bei. Profiteure bleiben die großen Player“[2]

Livestreams gab es in der elektronischen Musikszene allerdings – sehr erfolgreich – lange vor dem globalen Digital-Exodus. Wenn man sich die Flut an unterkühlten DJ-Streams aus leeren Clubs in den letzten Monaten ansieht, bekommt man aber den Eindruck, dass der Erfolg entsprechender Formate zuvor vor allem daran lag, dass ein interpassives Schwelgen in Videos von feiernden Menschen dann gut funktioniert, wenn man sich eben noch als Teil einer solchen Menge wiederfand oder sich darauf einstimmte. Und oft wohl auch beides.

Wenn aber über einen langen Zeitraum Clubkultur nur noch über digitale Transformation erfahrbar gemacht werden kann, gehen die spannenden Details und immersiven Erlebnisse naturgemäß verloren. Eine neue Generation an Clubgänger*innen wird das Gesehene nur noch nachspielen, aber den Anschluss an das ursprüngliche Erlebnis womöglich nicht mehr finden.

Das alles vorausgesetzt, dass kollektive Erlebnisse in engen Räumen mit verschwitzten Körpern überhaupt so schnell wieder denkbar werden. Andernfalls wäre mein letztes Bier in jener Nacht wohl auch das letzte Bier einer Epoche gewesen.

DANACH (NEVER COMES)

Markus Reindl moderiert auf Einladung der gfk eine 10teilige Gesprächsreihe, in der Menschen aus unterschiedlichen Kontexten mit ihm ein DANACH erörtern. Ziel ist, in jedem dieser Gespräche eine Vorstellung von DANACH zu denken und zu formulieren. Dieses Danach ist vielen von uns im Jahr 2020 abhandengekommen, in den Gesprächen mit Linzer*innen wird versucht – vor dem Hintergrund unterschiedlicher individueller Erfahrung mit gesundheitlichen, persönlichen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Krisen – eine gemeinsame Idee davon zu kreieren. Oder auch nur, das Gegenüber und das aktuelle Gespräch als gegenwärtig zu begreifen, sodass es die Sehnsucht nach DANACH womöglich gar nicht mehr braucht.

Mittwochs ab März (voraussichtlich) / 17.00 / Ort: Leerstände & Schaufenster in Linz & Urfahr


[1] Fritz, M., 2020, November 6. DEHOGA-Umfrage: 94 Prozent der deutschen Clubs stehen vor der Pleite. Groove. Retrieved from www.groove.de

[2] Fritz, M., 2020, May 5. Livestreams vom Abgrund: Die Szene in der Corona-Krise. Groove. Retrieved from www.groove.de