Bleibt störend!

Soeben haben wir eine Presseaussendung zur aktuellen, zweiten Magazinausgabe zum Schwerpunkt Störung verschickt. Neben Infos zu Veranstaltungen, Schwerpunkt und Programm habe ich mir erlaubt, mich anlässlich von KTM, aber auch zurückliegender – man vergisst ja so schnell… – kulturpolitischer Ereignisse und Entwicklungen, die Kulturreferent Stelzer zumindest mitzuverantworten hat, zu Wort zu melden. Was mit den Enthüllungen sichtbar wird, ist – neben vielen politisch fragwürdigen Entscheidungen Einzelner – ein System, das an Gönnerhaftigkeit und Eigenmächtigkeit nur schwer zu überbieten ist. Ein System, das nicht daran interessiert ist, durch Förderungen Kultur und Kunst zu ermöglichen und faire Arbeitsbedingungen zu schaffen, sondern eines, in dem sich Mächtige der Gunst anderer Mächtiger versichern. Ein System, das immer dort, wo Macht und vor allem die Angst vor Machtverlust vorherrschen wirksam wird, ein patriarchales System, das kompetitiv, auf Verschwiegenheit und Intransparenz und gegenseitigen Abhängigkeiten aufbaut. Ein System der Clubs und der Hinterzimmer, ein System, das seit hunderten von Jahren die Welt regiert und uns Menschen an den Abgrund geführt hat. Ein System, das dringend der Störung bedarf, was nun Dank der KUPF und einigen Journalist*innen auch gelungen ist. Das sind auch jene Systeme, von denen unsere Autorinnen im aktuellen Magazin schreiben*, Systeme, deren Protagonist*innen die wahren Störenfriede sind. Im zweiten Halbjahr 2019 rufe ich also dezidiert zur Störung auf, denn das, was Normalität genannt wird, ist vielfach moralisch und ethisch schlicht falsch.

Dass der Landesrechnungshof in der KTM und Motohall Causa prüft, ist notwendig und wichtig. Darüber hinaus muss aber die Frage nach der politischen Verantwortlichkeit gestellt werden. Denn es geht um mehr als KTM: Ob nun der Fall Odin Wiesinger, das neue Kulturleitbild oder bizarre Rechtfertigungsversuche und offene Fragen in Sachen KTM – die aktuelle Kulturpolitik ist offensichtlich keine im Sinn von Kunst- & Kulturarbeiter*innen oder ihres Publikums. Insgesamt und in Anbetracht all der Kürzungen bei kleinen, kritischen Kulturvereinen und der letzten kultur- und personalpolitischen Entscheidungen ergibt sich hier ein verheerendes Bild der Kulturpolitik Stelzers.

Als ich vor nunmehr 20 Jahren aus Wien nach Linz kam, bot sich ein völlig anderes Bild – ich hatte als Kunststudentin, später als Kulturarbeiterin und freie Journalistin das Gefühl, hier sei vieles möglich, hier gehe es über weite Strecken gerecht und verständig zu, hier hätte die Landespolitik verstanden, dass es kritische Kunst & Kultur braucht, um sich selbst zu reflektieren. Wie nun deutlich wird, ein naiver Trugschluss, natürlich war etwa Landeshauptmann und Kulturreferent Pühringer ebenso Teil des oben beschriebenen Systems aus Geben & Nehmen. Kritische Künstler*innen, Kulturarbeiter*innen, freie Journalist*innen verkommen so nicht nur gegenwärtig sondern auch im Nachhinein zur Statisterie, die einer mal ein bisschen besser oder geschickter, ein anderer wieder ein bisschen schlechter oder eben politisch nicht ganz so geschickt behandelt. Es ist ernüchternd, mehr aber noch lässt sich daraus ein Handlungsauftrag ableiten: Werdet störend, bleibt störend!

Bevor ich mich für ein knappes Jahr in eine Bildungskarenz begebe, um eine kulturwissenschaftliche Doktorarbeit zu vertiefen, darf ich weiter unten noch an unser Magazin und unsere Veranstaltungen verweisen. Davor aber möchte ich noch sehr herzlich Renée Chvatal begrüßen, die mich in dieser Zeit bis MItte August 2020 vertreten wird. Ich arbeite bereits ein wenig am Programm für 2020/21 – Wirtschaftstheoretiker Karl Polanyi und sein Begriff der „Gegenbewegungen“ werden unter anderem eine Rolle spielen, ich freue mich schon sehr darauf, gemeinsam mit vielen Kooperationspartner*innen ein Programm dazu zu erstellen, das gleichermassen herusfordernd wie spannend ist.

Bis dahin:

Bildet Banden, habt keine Angst, bleibt störend und solidarisch!

Wiltrud Katherina Hackl

*AUTOR*INNEN der Ausgabe #2 zum Schwerpunkt Störung:

Barbara BLAHA schreibt über den Think Tank der Vielen und die wahren Störenfriede in dieser Republik | Laura DRESSEL über störende Geschichte und sprechende Steine| Clara GALLISTL & Kathrin QUATEMBER geben Störungsanleitungen | Kristina Pia HOFER über radikales Hören | Ruth KARNER über störende Kinder | Julia PÜHRINGER & Sara KÖPPL über verstörende Frauenbilder | Victoria WINDTNER über störende Tiere | Anke SCHÜNEMANN darüber, ob Menschen stören, wenn sie schwerer verstehen | Interview mit Ärztin & Autorin Ulli STEGBUCHNER über Störungen im Leben und ihren Texten